Neue Forschungsergebnisse stützen Holobiontenkonzept
Meine Artikel zum Mikrobiom und unserer Persönlichkeit im Darm werden nun durch neue Forschungsergebnisse gestützt und ergänzt!
An der Uni Kiel wurde untersucht, wie unsere Mikrobenpopulation über das Nervensystem gesteuert wird:
Im Rahmen der Entwicklung des Nervensystems einer Hydra (Süßwasserpolyp) vom Eistadium bis zum ausgewachsenen Organismus verändert sich innerhalb von 3 Wochen ihr Mikrobiom drastisch, bis es sich in Zusammensetzung und lokalen Variationen stabilisiert. Daraus leiten die Forscher ursprüngliche und daher universell gültige Funktionsprinzipien des Nervensystems ab: in den Nervenzellen werden Neuropeptide (Botenstoffe aus Aminosäuren) produziert, die die Besiedlug mit Bakterienstämmen zulassen oder unterdrücken. [1]
„Bisher waren die Faktoren, die die Bakterienbesiedlung des Körpers beeinflussen, weitgehend unbekannt. Wir konnten zum ersten Mal nachweisen, dass das Nervensystem hier eine wichtige regulierende Rolle übernimmt“, betont Professor Thomas Bosch, Entwicklungsbiologe und Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“.
Der aktuelle Artikel dazu in der Ärztezeitung führt dies aus und enthält Links zur zugrundeliegenden wissenschaftlichen Arbeit.
In unserem Organismus kommunizieren also das Steuersystem mit Informationsträgern und funktionsausführenden Organen, Organellen und Mikroben, und diese Kommunikation und Symbiose wird während der frühen Entwicklung angelegt!
Integriert in dieses Orchester sind die Bakterien und Viren, die nicht nur unseren individuellen und sozialen mikrobiellen Fingerabdruck
machen, sondern auch veränderlich sind durch unsere Reaktion auf die Umwelt [2]. Grenzen zwischen zum Körper gehörenden und selbständigen Lebensformen erscheinen damit willkürlich – die zelleigenen Mitochondrien, überlebensnotwendige „Kraftwerke“, die die Umwandlung und Regeneration von Energie in Form von ATP bewerkstelligen, sind ursprünglich importierte Bakterien! Sie haben eigene Erbinformationen und sind vom Zellplasma durch eine Doppelmembran getrennt, die beim notwendigen Proteinimport durch verschiedene „Nanomaschinen“ überwunden werden muss. Die Zusammenarbeit der mitochondrialen Gene mit denen des Zellkerns für die Funktion der Proteinbiosynthese ist fein abgestimmt. Zur Entstehung und Entwicklung der Mitochondrien gibt es laut aktueller Forschung an der Uni Freiburg nun eine neue Auffassung:
Das Mitochondrium bildete sich aus einer einfachen Bakterienzelle, die vor etwa zwei Milliarden Jahren von einer größeren Zelle aufgenommen und dann in ein Zellkompartiment, einzeln abgetrennte Reaktionsräume, umgewandelt wurde. Eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung der Mitochondrien und somit für die Evolution komplexer Zellen war die Entwicklung einer effizienten Protein-Importmaschinerie. Bisherige Annahmen gingen davon aus, dass diese einmal entwickelt und danach nur noch leicht den Lebensbedingungen der jeweiligen Organismen angepasst wurde. Die neuen Daten zeigen: Zwar sind diese Import-Nanomaschinen sowohl bei Trypanosomen als auch beim Menschen aus etwa 15 verschiedenen Proteinen aufgebaut, die Bestandteile weisen jedoch bis auf drei Proteine keinerlei Ähnlichkeit miteinander auf. Das macht deutlich, dass das System in den Trypanosomen bis auf drei Grundkomponenten neu erfunden wurde. Die Entdeckung deutet darauf hin, dass die erste komplexe Zelle nur ein einfaches Importsystem besaß, aus dem in einem langwierigen Prozess eine hochentwickelte Import-Nanomaschine entstand. Die heutigen effizienten, aus vielen verschiedenen Modulen bestehenden Importsysteme haben sich also später als ursprünglich angenommen entwickelt, nachdem eine erste „Artenbildung“ von komplexen Zellen schon stattgefunden hatte. [3]
Das bedeutet, dass die Integration des sauerstoffverarbeitenden Bakteriums als Teil des Tierkörpers ein spezifischer und auf diesen abgestimmter, intelligenter Entwicklungsschritt war.
Genauso intelligent ist das Zusammenspiel von Mikroben und Informationsträgern, den Viren und ihren Partnern in unserem lymphatischen System. Ich vermeide gern den Begriff „Immunsystem“, da dieser mit der Vorstellung von „gut und böse“ und damit allzu simplistisch und irreführend ist.
Als Viren oder virenähnlich definierte „biologische schwarze Materie“ erhöht die Stabilität der Darmflora und der Resilienz der Gemeinschaft. Diese Phagen kontrollieren die Bakterienpopulation und kommunizieren ihrerseits mit den körpereigenen lymphatischen Zellen, indem Proteininformation ausgetauscht und ggf im individuellen sowie im sozialen System toleriert wird [4]. Entsprechendes belegt auch die Informationsverteilung über Insekten (ich erinnere an Beobachtungen und Erfahrungen als Reisende zwischen verschiedenen Ländern und Ökosystemen hier).
Kontakt zu natürlich vorkommenden Mikroben erhöht auch die geistige und psychische Gesundheit.
Zum Beispiel wirkt das Pilzbakterium Vaccae, das sich in Kuhmist und Gartenerde wohlfühlt, aufs limbische System, dem Gefühlszentrum des Gehirns. Dort wird unter Auschüttung des Botenstoffs Serotonin Glücksgefühl erzeugt und Ängstlichkeit vermindert [5],[6] . Chris Lowry von der Universität Bristol stellt nach seinem Experiment an Mäusen fest:
„Das Bakterium scheint in der Lage zu sein, sowohl die Balance im Immunsystem wiederherzustellen als auch die Produktion von Serotonin im Gehirn anzuregen“
Die Studie ist in diesem Artikel in der Welt beschrieben.
Dorothy Matthews von den Sage Colleges in Troy, New York, schloss aus ihren Experimenten:
„M. vaccae könnte eine Rolle bei Angst und bei Lernen spielen. Es ist spannend über Lernumgebungen in Schulen nachzudenken, die Zeit in der Natur enthalten, wo M. vaccae präsent ist. Man kann spekulieren, dass darin Ängstlichkeit abnimmt und das Lernvermögen für Neues gesteigert wird.“
Die Symptomatik „Angst und Depression“ wirkt sich auf unsere lymphatischen Zellen aus. Die für gelernte Immunmodulation verantwortlichen T-Lymphozyten zeigen bei depressiven Patienten, sowie bei chronischem Stress eine erhöhte spontane Apoptose (selbstinduzierter Zelltod), während gleichzeitig Immunaktivierungen und Entzündungen vorkommen. In diesem Zusammenhang spielt Tryptophan, Vorstufe zum Glückshormon Serotonin und dem schlafregelnden Hormon Melatonin, eine Schlüsselrolle: Tryptophan, welches die Bildung von T-Lymphozyten stimuliert, wird bei Entzündungsreaktionen abgebaut. Auch kognitive Funktionen und Lernkapazität sind bei reduzierten oder unfunktionellen T-Zellen vermindert [7].
Dies belegt unsere META-Health-Betrachtung des lymphatischen Systems als Funktion der Identität ond des Selbstverständnisses, und das Spannungsfeld zwischen Schutz durch Vermeidung und Abgrenzung, und dem durch Konfrontation:
Der Schlüssel zur Resilienz und einem glücklichen Leben ist also Eingebundensein in ein Ökosystem, Austausch mit der Umwelt und Toleranz der Verschiedenheiten. Gemeinschaftsgefühl macht stark. Dies konnte nun also auch auf der zellulären Ebene gezeigt werden.
Quellen:
[1] https://www.sciencedaily.com/releases/2017/09/170926105425.htm
[2] https://microbiomejournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40168-016-0212-z
[3] http://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2016/pm.2016-12-19.171
[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4566309/
[5] https://www.sciencedaily.com/releases/2010/05/100524143416.htm
[6] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0376635713000296
[7] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2787959/
Bilder (wikimedia): www.mikro-foto.de Frank Fox, NCI Dr Triche