Das Wunder der Haut
Das Zwiebelschalenprinzip ist Dir sicher ein Begriff.
Heute ist wieder so ein Tag gewesen, wo es von grossem Nutzen war, schichtweise Häute an- und ablegen zu können: die Sonne wärmt wenn sie scheint, aber der kalte Wind macht frösteln – die Haut zieht sich zusammen. Dann wieder, beim Spalten der letzten Kloben auf dem Holzplatz, will man alles von sich werfen, da der Schweisspegel steigt. Kaffeepause draussen? Ja gerne, aber her mit der Jacke! Am Abend wirds noch eine Schicht mehr und die Mütze kommt noch mal zu Ehren – im Juni!
Gut dass man all diese Pellen hat, winddicht, wasserdicht, atmungsaktiv, die Zwiebel macht es vor, wie man sich schützt. Was schützt?
Die nackte Haut! Die meisten klimatischen Verhältnisse auf der Erde sind nur sehr eingeschränkt für ein Leben in vollkommener Nacktheit geeignet. Wärme- und Flüssigkeitshaushalt wollen balanciert werden, Strahlung gemildert oder reflektiert. Unbehagen zeigt uns an, wann wir persönliche Grenzen erreichen, ab wo wir zusätzliche Distanz von dem benötigen, was wir als Bedrohung unserer Integrität empfinden. Sind wir nackt, lecken wir Informationen und Energie. Sind angreifbar.
Kein erstrebenswerter Zustand?
Schutzbedürfnis vs Freiheitsdrang
Im Sommer, am Strand ist das anders – oder auch im Winter, in südlichen Urlaubsgefilden 😉 Gerade Nordeuropäer sind so ausgehungert nach Sonne und Wärme, dass sie körperliche Signale komplett nonchalieren bis zu Verbrennungen – da muss etwas noch Wichtigeres dahinter sein! Die Sehnsucht nach Einfach-Ich-Sein, nach Freiheit, Beweglichkeit und Nacktheit… und Berührung!
Natürlich gilt das nur im sicheren Umfeld des Strandes oder des eigenen Balkons.
Also, es geht hier um unsere Kontaktfläche zur Umwelt, die einen geregelten, gesunden Austausch ermöglicht.
integrierte Sensoren scannen die Umgebung und den „An-greifer“ ab, um Freund oder Feind zu identifizieren, und Schleusenmechanismen werden durch diese Einordnung in Gang gesetzt oder gedrosselt.
Licht, Luft und Nahrung werden aufgenommen, Schlackestoffe ausgeschieden, ein Teil des Flüssigkeitshaushalts wird über die Haut gesteuert.
Im Alarmzustand „macht die Haut dicht“, um die Integrität des Organismus zu wahren. Das System ist für kurzzeitige Abwehr von Bedrohungen physikalischer, chemischer oder thermischer Natur ausgelegt:
Je länger ein Alarmzustand des Schutzbedürfnisses anhält, desto weniger Austausch wird zugelassen: Zu- und Abtransport laufen auf kontrollierter Sparflamme. Daraus resultiert eine Notlage des Hungers und zugleich des Drucks eigener Abfallstoffe, die nicht zureichend ausgeschieden werden und somit das System langsam von innen vergiften. Also: erhöhter innerer Schutzzustand aufgrund von erwarteter Gefahr ist kurzfristig eine Notwendigkeit, langfristig aber problematisch!
Wie wird denn „Entwarnung“ gegeben?
Prinzipiell in dem Moment, wo man der Belastung nicht mehr ausgesetzt ist!
So wie es mir hier geht:
Eine wahre Geschichte 😉
Ich liege im warmen weissen Sand
einer paradiesischen Insel
umgeben von türkisblauem Meer,
ich liege dort mit leicht geschlossenen Augen
und tagträume wohlig von warmen Welten
in einer anderen Zeit, wo farbige Wellen
des Bewusstseins mich umgeben und durchdringen…
die Sonne macht sanfte Schweissperlen
auf meiner nackten Haut, die von einem kaum spürbaren
warmen Hauch getrocknet werden…
ich habe das Gefühl mich auszudehnen,
auseinander zu fliessen und
den ganzen Strand zu bedecken…
nehme die Energie der Erde von unten auf und bade Körper und Seele im Licht der Sonne!
Ein Lächeln spielt auf meinem Gesicht,
ich geniesse dieses Paradies in vollen Zügen,
bin da wo ich bin, weit, und eins mit dem was ich bedecke und was mich bedeckt…
ein stetiger ruhiger Rhythmus, der Klang der Erde in mir…
unendliches Wohlgefühl…
AAARRG!!! Was ist das – ein kaltes, nasses Etwas auf meinem Bauch iiIIIEEE !!!
– und ich werde zum Ball, Hände drauf, Augen auf,
– und sehe die lachenden Augen meines lieben, heimtückischen Partners, fühle nun seine warmen Hände das Aloe-Gel auf meiner Haut verteilen: „Schatz, ich passe doch auf, dass Du keinen Sonnenbrand kriegst, Du weisst dass man in der Sonne nicht einschläft…!“
Ppffffff.
Die Augen schliessen sich, die Wärme spült wieder über mich, während er mich weiter einreiben darf, mmmmhhhhmmm…. mein Paradies ist noch da, und es hat einen weiteren Paradiesvogel! :-)
Dieses kleine Gedankenspiel illustriert den Prozess.
In der Komfortzone ist die Haut weich, die Poren geöffnet für viel Austausch mit der Umwelt, die als harmonisch und wohltuend empfunden wird.
Eine, eventuell sogar unerwartet wahrgenommene spontane Veränderung dieser Komfortzone, wie hier der kalte Tropfen auf empfindlicher Bauchhaut, ruft augenblicklich die Reaktion des „Angriffsfläche verkleinerns“ hervor, durch Zusammenziehendes „Verdicken“ des Gewebes mit Hilfe aufgestellter Haare und der darunterliegenden Muskulatur, zusammen mit dem Umschalten des vegetativen Modus auf waches Fokussieren auf den Feind!
Dieser wird identifiziert, in einen Bezugsrahmen gesetzt, und in unserem Beispiel war der ganze Angriff dann schon vorbei, der Moment der Kälte wurde von angenehmem Kontaktempfinden abgelöst. Ohne weitere Abwehr geht die Haut wieder in ihren offenen weichen Austauschzustand über.
Entwarnung,aber…
Was wäre passiert, wenn…
– der kalte nasse Tropfen der Beginn eines Regengusses, begleitet von Windböen, gewesen wäre?
oder wenn
– mein Partner bemerkt hätte „Du bist schon ganz verbrannt, das müssen wir grossflächig kühlen!“
oder wenn
– ein paar fremde Typen mit provozierendem Grinsen im Gesicht ihre eiskalte Colaflasche an meinen Bauch gehalten hätten?
Stell Dir mal die unterschiedlichen Verläufe vor. Und überlege auch, warum das jeweils so wäre. Was könnten die jeweiligen Szenarios für meine zukünftigen Reaktionen bedeuten?
Also, das biologische Signal fürs Ende des Alarmzustandes ist, die Gefahr hört physisch auf, man ist in Sicherheit. In meinem ersten Beispiel ist das empfundene Unbehagen und die physische Reaktion sinnvoll, um mit den neuen Verhältnissen klarzukommen solange bis geeigneten Möglichkeiten der Veränderung und des Schutzes gefunden sind. Wie bessere Kleidung, ein Unterschlupf, eine andere Wärmequelle.
Der Mensch ist fähig, solche Signale zu „tweaken“
Schätzen wir aufgrund einer Referenzvorstellung die Gefahr als irrelevant ein, können wir die biologischen Reaktionen eingrenzen bis hin zum Verschwinden, wie in meinem zweiten Beispiel. Nach diesem Prinzip funktionieren Kunststücke wie das unbeschadete Feuerlaufen! Und es kann genutzt werden, um z.B. die Angst vorm Zahnarzt zu überwinden, denn eine kleinere, zeitlich eingegrenzte unangenehme Massnahme wird helfen, eine grössere, wichtigere Gefahr abzuwenden.
Eine physisch beendete Gefahr kann natürlich auch durch Vorstellungen und Ängste verlängert werden. Ängste, die einen warnen sollen, die Bedrohung zu erkennen, die einem schon einmal geschadet hat. Oder jemand anderem geschadet hat, der seine berechtigte Furcht dann an uns weitergab. So wie ich mich nicht mehr am Strand in meine Traumwelt fallen lassen könnte, wenn dubiose Typen mit Colaflaschen dort anzutreffen sein könnten 😉
Diese Lernprozesse beeinflussen forthin die Reaktionen unseres ganzen Organismus. Wir werden „sensibel“ oder „unempfindlich“. Oft sind uns die Ursachen längst nicht mehr bewusst.
Eine Form von erworbener Sensibilität, die sich verselbständigt hat und nun unnötiges Leiden verursachen kann, sind allergische Reaktionen und Unverträglichkeiten. Ein Tier wäre ihnen ausgesetzt, da es die darin liegende Warnung beachten soll: die Situation, die es in Kontakt mit jenen Substanzen gebracht hat, war lebensbedrohlich! Und daher sind, nach der Logik der Erinnerungen, diese Substanzen zu meiden.
Wir Menschen sind solchen biologischen Warnfunktionen ausgesetzt, so lange wir keine sinnvollere Strategie oder Betrachtungsweise entwickelt haben. Denn das können wir, wenn wir die Referenzerfahrung dazu identifiziert haben, ganz so wie ich keinen roten, colaflaschenrunden Ring auf dem Bauch mehr bekam, seit ich… *hier bitte Deinen Vorschlag einfügen!* 😀
[1] Zsuzsanna Kilian via SXC
[2] Thorsten Krüger